Das Kreuz – ein Zeichen im Widerspruch

Unsere Arbeit im Krankenhaus vollzieht sich im Zeichen und in der Wirklichkeit des Kreuzes. Das Kreuz markiert die Grenze des Widerspruchs. Es trennt und vereint Gegensätzliches.

Ich gehe in ein Krankenzimmer und spende zwei Menschen die Krankensalbung. Der eine geht nach Tagen nach Hause, der andere wird im Sarg weggebracht. Ich taufe zwei neugeborene Zwillinge – das eine zum Leben, das andere zum Tod. Ich leide mit, habe Tränen in den Augen, bin selber ohnmächtig sprachlos – und doch soll ich die Ohnmacht, Trauer, Wut, den Schmerz der anderen teilend zur Sprache bringen; ich soll schweigen und doch Antwort geben. Aber nie ist sicher, wie und ob die Antwort erreicht.

Mein Wort ist richtig und zugleich falsch. Einer Mutter am Sterbebett ihres Kindes zu sagen, dass es im Himmel ist, kann stärkstes Wort der Hoffnung für die eine bedeuten und billige, fast zynische Vertröstung für die andere. Ja für dieselbe Person heute stärkend und glaubhaft und morgen absurd und abstoßend.

Bei einem Gedenkgottesdienst für totgeborene Kinder hat mir eine Mutter von ihrer Empörung erzählt, die sie einer Frau entgegengeschrien hat, als diese sagte, ihr Kind sei im Himmel und es gehe ihm gut: „Ich will mein Kind nicht im Himmel, ich will es in meinen Armen!“ Aber allmählich habe dieses Bild in ihr Platz gegriffen und jetzt habe sie das Gefühl, der Himmel habe ihr das Kind wiedergegeben.

Seelsorge geschieht oft im Widerspruch: Ich glaube – ich will nicht glauben; ich hoffe – es ist hoffnungslos; Gott liebt mich – Gott hat mich vergessen; ich hasse – ich verzeihe. Krankheiten durchkreuzen unseren Lebensweg. Das Schicksal macht uns einen Strich durch die wohlgeordnete Rechnung des Alltags. Wir werden zum Innehalten gezwungen. Die Mitte leuchtet auf. Eine Chance bietet sich. Etwas Neues kann sich ereignen. Doch vielleicht müssen wir auch das Alte erst loslassen. Etwas stirbt in uns, damit wir neu geboren werden können. Das Kreuz kennzeichnet all dieses heftige Ringen und den Durchbruch zum Neuen. Diese Widersprüche dürfen nicht vorschnell eingeebnet, müssen vielmehr in der Begleitung ausgehalten werden. Und zum Berührendsten gehört es, wenn man Zeuge sein darf, wie ein Mensch das Widersprüchliche aushält und überwindet: Ich habe meinen Glauben verloren – trotzdem sehne ich mich danach. Ich wurde furchtbar enttäuscht und verletzt – trotzdem möchte ich wieder lieben. Trotzdem…

Das Kreuz bloß Siegel, Aushängeschild, ja Werbemittel einer katholischen Konfession oder gar harmloses Accessoire? Das Kreuz politisch instrumentalisiert? Sicherlich nicht. Wer solches meint, der sieht schlichtweg nicht tief genug. Das Kreuz markiert Begegnung, Widerspruch, Trost, Schmerz, Hoffnung, Schutz, Segen, Aufbruch, Leid, Ende, Wandlung, Entscheidung, Liebe…Seine Sinnfülle lässt sich nie ausbuchstabieren.

Warum der Schmerz?, fragen die Menschen in ihrer Not. Warum müssen gerade die Schwachen und Kleinen der Erde leiden? Warum Demütigungen? Das fragten die Menschen aller Zeiten Gott. Und Gott schien zu schweigen…Dann endlich kam Gott in die Welt, im Kind in der Krippe, um in diese Welt hineinzusagen: Ich liebe dich, du Welt und du Mensch. Und er hat diese Liebe ausgehalten bis zum Schmerz und Tod am Kreuz. Im Zeichen des Kreuzes wurden Liebe und Leben neu aufgerichtet. Das Kind in der Krippe ist genau wie das Kreuz kein Idyll, sondern ein Skandal (Bischof Klaus Hemmerle).

Pfarrer Bernd Oberndorfer

 

Krankensalbung – Begegnung mitten in der Not

Im Sakrament der Krankensalbung kann man vielleicht am unmittelbarsten sehen, was christliche Botschaft überhaupt will, wofür Kirche sein soll, ihr ganzer therapeutischer Wille drückt sich zeichenhaft darin aus.

„Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken“, sagte Jesus selbst von sich. Der Kontext dieses Satzes steht zwar in die Rechtfertigung Jesu, warum er sich denn mit Zöllnern, mit öffentlichen Sündern abgibt, aber es ging Jesus nicht nur um die sozial Aussätzigen, sondern auch die durch Krankheit Aussätzigen. Ein ganzes Fünftel aller Evangelientexte berichtet direkt von solchen Heilungen.

Nach Jesu Überzeugung ist die Krankheit eine geradezu privilegierter Ort, wo sich die Zuneigung Gottes zu allem, was schwach und verletzlich ist, manifestiert, ein Anlass für das Wirken Gottes, das heilend und helfend ist. Krankheiten sind Unheilsituationen, aus denen Gott herausführen möchte. Heilungen sind anderseits Zeichen für die angebrochene Gottesherrschaft. Der Theologe Adolf von Harnack hat gesagt, Jesus ist geradezu als Arzt in die Mitte seines Volkes getreten. Da gibt es noch keine Trennung von Seelenleiden (Sünden), von psychischen und körperlichen Krankheiten. Christus als Arzt heilte Sünder wie Kranke. Und die Kirche hat den Auftrag Jesu übernommen: „Geht hin und verkündet: Das Himmelreich ist nahe. Heilt Kranke, ja weckt Tote auf.“ Im Markusevangelium heißt es: Und die Jünger salbten viele Kranke mit Öl und heilten sie. Ganz offensichtlich schloss die Praxis Heilungsgesten wie Handauflegung und Salbung mit Öl zusammen mit einem Heilswort von Anfang an mit ein. Diese Praxis ist im Kern noch heute dieselbe. Die Therapie besteht in Handauflegung, Salbung mit Öl und Gebet. Die zugesagte Wirkung besteht in der Rettung und Aufrichtung des Kranken und in seiner Versöhnung mit Gott.

Der „Sitz im Leben“ der Krankensalbung ist die Krankheit als eine gesamtmenschliche Unheils- oder Krisensituation. Krankheit wird hier nicht als bloße medizinisch-biologische Störung, die schlimmstenfalls zum Tod führen kann, verstanden, sondern als Erschütterung des gesamtmenschlichen Befindens. Weil der Mensch Einheit von Leib und Seele ist (den Leib nicht nur hat), betrifft ihn jede schwere Krankheit und auch jeder schwere Beziehungskonflikt behindert ihn in seinen Lebensmöglichkeiten, lähmt seine Aktivitäten, lässt ihn Grenzen und Ohnmacht erfahren. Und hier geht es um die Bewältigung dieser personalen Unheilssituation. In diesem Sinne verstehen wir Heilung (auch durch das Sakrament) nicht medizinisch als Behebung einer Krankheit, sondern gesamtmenschlich als Sieg über diese Krankheit. Somit kann die Krankheit als körperliches Phänomen unverändert ihren Lauf nehmen, doch von der personalen Heilsgeschichte her gesehen wird sie nicht länger als Unheil gesehen. Der Mensch nimmt seine Erkrankung an. Und dieser innere, die Krankheit wendende Vollzug ereignet sich oft im Zusammenhang mit dem sakramentalen Geschehen der Krankensalbung. Gott begegnet dem Menschen mitten in seiner Not.

An einer von unzähligen Lebensgeschichten sei das verdeutlicht: Ich treffe eine Patientin mittleren Alters. Sie ist nicht besonders kirchlich verankert, aber spirituell offen. Ihre tiefe Niedergeschlagenheit und Trostlosigkeit verleiht sich Ausdruck im Gefühl umfassenden Verschuldens, trostlosen Verlassenseins und Bestraftseins von Gott. Bei zwei Einzelgesprächen bekomme ich langsam Einblick in einen tragischen Lebensverlauf: tiefes Gefühl des Ungeliebtseins von der Mutter, den sehr geliebten Vater hat sie früh verloren. Dann eine kurze, sehr glückliche Ehe. Aber ihr Mann begeht in Depression Selbstmord. Aus dieser Zeit blieben noch viele Schuldgefühle, Fragen und Widersprüche: Habe ich ihm zuwenig meine Liebe gezeigt? Warum hat er mir das angetan? Sie ist noch immer wütend auf ihn, verbietet sich aber zugleich diesen Gedanken als schuldhaft. Sie bleibt dann Jahre partnerlos und zieht das gemeinsame Kind alleine auf. In die Zeit nach dem Tod ihres Mannes fällt auch die erste Erkrankung.

Als das Kind erwachsen, ist kommt es zu Zerwürfnissen, als die Patientin einen Mann kennenlernt und mit ihm eine Partnerschaft eingeht.  Dramatische Trennungen folgen und deswegen hat sie tiefe Schuldgefühle.

Ich lege ihr einen Satz aus dem ersten Johannesbrief nahe: „Wenn unser Herz uns verdammt ist Gott größer als unser Herz.“ Ich ermutige sie, ihre dunklen Gefühle zu äußern und da sein zu lassen. Denn biblischen Satz wenden wir gemeinsam um auf: Wenn unser Hass verdammt, dann reicht unsere Liebe tiefer als unser Hass. Bei der Krankensalbung, die mit der Beichte vorweg verbunden ist, wiederhole ich diesen Satz und schließe die Vergebung mit der zärtlichen Zusage Gottes im Sakrament der Krankensalbung: Bei der Salbung der Stirn sage ich ihr die Versöhnung und das Heil zu. Bei der Salbung der Hände betone ich den Halt, die Fürsorge, die Liebe, die sie mit diesen Händen geschenkt hat und schenkt. Ich bestätige das Gelungene und Kostbare ihres Lebens durch diese Salbung.

Nach einem halben Jahr treffen wir uns wieder und sie schildert die Krankensalbung als das intensivste Gefühl, das sie je hatte, das Gefühl, mit Zuneigung überflutet zu werden, dass Dämme der Verbitterung brachen. Sie erzählt mir von der Versöhnung mit ihrem Kind. Und fast nebenbei bemerkt sie: „Auch die Krankheit hat sich wieder zurückgezogen.“

Manchmal geschehen durch dieses Sakrament auch körperliche „Wunder“, aber die eigentlichen Wunder liegen für mich in der Kraft der inneren Versöhnung und des Trostes, dass dieses Sakrament uns offen und empfindsam macht für uns selbst und für andere, dass Gott so zärtlich und direkt spürbar wird.

Pfarrer Bernd Oberndorfer

Sakrament der Krankensalbung

 

Das Sakrament der Krankensalbung

 

Warum wird die Krankensalbung gespendet?

Kranke zu heilen, steht im Mittelpunkt des Wirkens Jesu. Und auch die Kirche hat vom Herrn den Auftrag erhalten, die Kranken zu heilen. Darum bemüht sie sich, die Kranken zu pflegen und mit ihrem Gebet zu begleiten. Wie es auch an den anderen wichtigen Knoten- und Entscheidungspunkten des Lebens Sakramente gibt, so besitzt die Kirche für die Krisensituation Krankheit ein eigenes Sakrament. Es wird in der Bibel im Jakobusbrief bezeugt. „Ist einer von euch krank? Dann rufe er die Presbyter der Kirche zu sich; sie sollen Gebete über ihn sprechen und ihn im Namen des Herrn mit Öl salben.“

Krankensalbung oder Letzte Ölung?

„Ist es schon soweit?“ Mit der Frage nach der Krankensalbung verbindet sich noch oft der Gedanke des unmittelbar bevorstehenden Todes. Tatsächlich hatte sich im Laufe der Zeit die Spendung dieses Sakramentes auf die Sterbenden verengt. Im Zweiten Vatikanischen Konzil kam die Kirche aber auf ihre alten Traditionen zurück und betonte, dass die „Letzte Ölung“ nun besser als „Krankensalbung“ zu bezeichnen sei und nicht nur das Sakrament für unmittelbar vom Tode bedrohte Menschen sei. Der Tod soll damit nicht verdrängt und tabuisiert werden, aber im Zentrum der Krankensalbung steht die heilsame Zuwendung Gottes zu den Menschen und nicht der Tod.

Wem kann die Krankensalbung gespendet werden?

Jedem körperlich oder seelisch-psychisch kranken Gläubigen, der diesen Wunsch hat. Auch älteren Menschen, deren Kräftezustand geschwächt ist, oder Menschen vor schweren Operationen. Auch mit Kindern soll die heilige Salbung gefeiert werden. Das Sakrament kann auch wiederholt gespendet werden, etwa bei chronisch Kranken. Auch Kranken, die das Bewusstsein verloren haben oder sehr verwirrt sind, ist das Sakrament zu spenden, wenn man davon ausgehen darf, dass sie es gewollt hätten. Schon Verstorbenen kann das Sakrament nicht gespendet werden, für sie gibt es eigene Gebetsriten. Wenn möglich, sollte die Krankensalbung nicht auf den „letzten Augenblick“ hinausgezögert werden.

Wer darf die Krankensalbung spenden?

Jeder Priester. Das Krankenöl wird vom Bischof in der Karwoche in der sogenannten „Chrisammesse“ mit den anderen Ölen (etwa für die Taufe) geweiht.

Wie wird die Krankensalbung gespendet?

Durch Handauflegung und Gebet als Zeichen und Wort, dass Gott alles aufrichten will, was daniederliegt. In der Person des Priesters nimmt Gott selbst den Kranken in seine Arme und legt ihm die Hände auf, salbt ihn mit Öl. Der Priester salbt die Stirn mit den Worten: „Durch diese heilige Salbung helfe dir der Herr in seinem reichen Erbarmen, er stehe dir bei mit der Kraft des Heiligen Geistes.“ Danach die Hände: „Der Herr, der dich von Sünden befreit, rette dich, in seiner Gnade richte er dich auf. Amen.“

Was bewirkt die Krankensalbung?

Sie verleiht eine besondere Gnade, die den ganzen Menschen erfasst, ihm Trost, inneren Frieden, Mut und auch die Vergebung der Sünden schenkt, wenn der Kranke nicht beichten konnte. Sie bringt ihn buchstäblich mit der bergenden Liebe Gottes in Berührung. Und manchmal, wenn Gott es will, schenkt dieses Sakrament auch die Gesundung des Leibes. Im Sterbeprozess bereitet die Salbung den Kranken auf den Hinübergang in das Haus des Vaters vor.

Wie komme ich zur Krankensalbung?

Hier im Krankenhaus ist das jederzeit möglich. Das Personal stellt gerne die Verbindung mit der Seelsorge her.

Das Sakrament der Krankensalbung